Schulinterne Fortbildungen Kreativitäts-Training

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Paradigmenwechsel

3. Was ist ein Lernprozess?

 

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1. Die traditionelle Didaktik ist u.a. an einer Optimierung von Unterrichtsprozessen interessiert. In ihrer selbst gewählten Linearität geht sie davon aus, dass der Lehrer sein erlerntes Wissen – didaktisch reduziert – an seine Schüler weitergeben kann und soll.

 

Das ist so nicht möglich!

 

Wissen entsteht in einem selbst gewählten, selbstgestalteten, selbstunterhaltenden Prozess der Schüler und ist von außen (vom Lehrer) nicht weiterzugeben oder planbar. Der Lehrer mag zwar "Informationen" (Signale) weitergeben, aber nicht (sein) Wissen.

Aus den vom Lehrer gegebenen "Informationen" (Signalen) entscheidet der Schüler für sich (selbstständig/autonom),:

 

ob das Signal des Lehrers für ihn eine Information ist,
ob diese Information für ihn wichtig ist,
ob und wie er diese Information in sein bisheriges Wissen einbaut bzw. mit
  seinem bisherigen Wissen verknüpft und
ob er an weiteren Informationen dieser Art interessiert ist.

  

Der Schüler entscheidet also für sich allein,

ob und wie er die Information des Lehrers

in für ihn brauchbares Wissen umwandelt.

 

Dieses ist eine höchst individuelle Leistung des Schülers und ist bei allen Schülern unterschiedlich (chaotische Situation). Diese subjektive Leistung der Schüler kann vom Lehrer nicht übernommen werden.

 

2. Das Lernen ergibt sich aus der gestellten Aufgabe und aus dem Prozess der Handlung. Der Lernende erfährt seine eigene Entwicklung durch das Ausprobieren eigener und anderer (von anderen Schülern erlernte) Methoden. Weitere Merkmale sind: Finden und Korrigieren von Fehlern, das Finden und "Erfinden" von neuen, passenden Methoden, um das Ziel zu erreichen. Das Gelernte kann vielfältig angewendet werden.

Aber noch besser: Während des Lernprozesses werden "versteckte", früher angelernte Wissenselemente und angelernte Methoden aktiviert und erfolgreich in den eigenen Lernprozess integriert. Der Schüler wird also nicht vertröstet auf die Zukunft, in der das heute erworbene Wissen zur Geltung kommen würde. Diese Vorgänge sind mit den Schülern zu thematisieren (Metalernen).

 

3. Während des Lernprozesses "verschmilzt" der Schüler mit seiner Aufgabe. In dieser Phase wird ihm nicht voll bewusst, dass er lernt. Er denkt beim Lernen also nicht über das/sein Lernen nach. Ich denke, dass das entscheidend für einen Lernprozess ist, der diesen Namen verdient. In dieser Phase entstehen Fehler. Diese Fehler führen aber nicht zu einem Blockade-Verhalten. Das Denken wird nicht eingeschränkt. Fehler werden nicht vom Lehrer sanktioniert.

Der Fehler steuert indirekt den Lernprozess: er stößt/regt zur weiteren Arbeit an der Aufgabe an. Der Schüler "muss-nicht-alles-richtig-machen". Die Schüler durchlaufen permanent neue Lernschleifen, in denen immer wieder das eigentliche Problem ein Stück mehr zur Lösung gebracht wird.

Das bis dahin Erlernte wird immer wieder teilgefestigt, weil man daran intensiv und umfassend gearbeitet hat. Das Erarbeitete wird nun überblickt und kritisch gewürdigt. Es werden Fragen an das bisher erreichte Ergebnis gestellt, weil man mit sich, mit dem Ergebnis, noch nicht ganz zufrieden ist.

Diese Selbst-Korrektur am Arbeitsergebnis ist auch eine Selbst-Reparatur eines selbst gewählten Lern- und Ent-wicklungsprozesses. Beides "schaukelt" sich gewissermaßen zu einem Ergebnis auf, bei dem am Schluss eine Arbeit vorliegt, die mit tiefster Zufriedenheit betrachtet wird. Dadurch bekommt der Lernprozess eine kreative Leichtigkeit, die wesentlich für ein freies, offenes Lernen ist.

Nicht der Lehrer legt fest, was, wie und in welche Richtung die Schüler denken dürfen. Nicht der Lehrer setzt die Grenzen fest, welche ja im Grunde seine Grenzen sind. Im Unterricht herrscht eine "offene Planung" vor, die die Würde der Schüler, also das, was man u.a. auch als "Poesie eines individuellen Planungsprozesses" verstehen kann, berücksichtigt. In dieser Phase wäre es sehr schädlich, dirigistisch in den Prozess einzugreifen, weil dadurch die "innere Poesie" der Schüler gestört bzw. nicht beachtet wird.

 

4. Unser untaugliches Eingreifen ist nur durch unser konditioniertes Verhalten zu verstehen, aber nicht zu rechtfertigen. Unsere rationale Planung "sichert" feste, unverrückbare Werte und Strukturen wie Ordnung und Stabilität. Das ist sicher das, was wir angeblich brauchen! Zukunftsfähig ist das aber nicht! Wir wären gut beraten, wenn wir unsere Planungsabsichten energetisch und evolutionär auffrischen, d.h., wenn wir unsere didaktischen, methodischen und pädagogischen Grundannahmen, die wir haben, ständig den augenblicklichen Erfordernissen anpassen könnten.

Planen wir also so, dass wir den Prozess im Auge haben und nicht das Ergebnis. Planen wir die Eigendynamik der Schüler und Schülerinnen ein. Planen wir die Risiken ein, die in jedem Lernprozess entstehen. Jetzt wird vielleicht deutlich, dass eine rigide/stringente Unterrichtsplanung, die auf das Ebengesagte nicht eingeht, das eigentliche Lernen verhindert.

 

5. Der Aufbau einer Fehler-Kultur: Der Fehler muss im Lernprozess während der Entscheidungsfindung und auch danach akzeptiert werden; nur dann wird es möglich sein, aus Fehlern zu lernen. Wenn also keine Fehler gemacht werden dürfen, kann von einem Lernprozess nicht die Rede sein.

Der Fehler ist ein integraler und natürlicher Bestandteil eines Lernprozesses. Erst dadurch entsteht die Lernsituation, in der aus Fehlern gelernt wird und sich die gleichen Fehler nicht permanent wiederholen. Dieses kennzeichnet eine "fehlerfreundliche" Situation im Unterricht und trägt zu einer anderen Fehlerkultur bei.

Fehlermachen und Lernen sind wichtige Elemente eines geistigen Probehandelns und sie entstehen durch die Simulation von realen Lebens- und Arbeitssituationen. Durch das Handeln entsteht neues Wissen und durch das neue Wissen entstehen neue Handlungssituationen. Ein permanenter Lernkreislauf, eine eigene "didaktische Spirale" entsteht, in der auch sogenannte "Ruhephasen" auftreten müssen, also Phasen, in denen das gewonnene Wissen durch Üben und Einordnen in das Wissensgefüge vertieft und gefestigt wird. Der Schüler bestimmt eigenverantwortlich, in wie weit er die ausgewählte Information zur Problemlösung seiner Aufgabe heranzieht.

 

6. Für den Lernprozess ist es nun wichtig, aus dem Topf der Lösungen, die geeignete herauszufinden und mit der Handlung zu beginnen auch wenn noch Informationen fehlen oder einige Detailfragen unbeantwortet bleiben. Denn während der Handlung wird oft sukzessiv intuitiv weiteres an konstruktiven Ideen in die Lernsituation eingebaut. Dieser Vorgang wird aber erst durch die Handlung, durch den Prozess der Handlung möglich. Weiter kann man erkennen, dass dieser Vorgang oft für den Lernenden unbewusst abläuft.

 

7. Die arbeitenden Schüler folgen keinem fertigen, aufgesetzten Plan, sondern sind "autopoietisch" organisiert, d.h., sie folgen den Regeln der Selbstorganisation. Die Situation ist durch Instabilität und Spontanität gekennzeichnet. Veränderungen, die ein wesentlicher Teil dieser Selbstorganisation sind, entstehen an so genannten "Gabelungspunkten" (Chaos-Theorie). Hier entstehen Neu-Orientierungen und Neu-Entscheidungen. Die mentale Richtung wird spontan verändert, aus Fehlern werden Ansätze für neue Wege herausgearbeitet. Innerhalb des Lernprozesses entstehen am Ende der einzelnen Phasen Gabelungspunkte (Bifurkationen), die zeitlich und inhaltlich vorher nicht geplant bzw. festgelegt werden können. Wir haben es hier mit Chaos-Strukturen im Unterricht zu tun.

Aus Ordnung wird Chaos, aus Chaos wird Ordnung, aus Ordnung wird wieder Chaos usw., bis schließlich am Ende der Arbeitsphase ein Ergebnis vorliegt, das aus einem selbst gewählten Lernprozess hervorgegangen ist. Schalten wir also um von der Fremd-Planung auf Selbst-Planung, von der Fremd-Steuerung auf Selbst-Steuerung.

 

8. Diese neue Situation wahrzunehmen, auszuhalten oder sogar noch zu fördern, bedeutet für den traditionell ausgebildeten Lehrer einen mentalen Quantensprung vorzunehmen. Diese Freiheitsgrade sind aber notwendig, um die Energie für ein "selbstbestimmtes" Lernen aufzubringen. Durch diese Vorgehensweise kommt der Zufall als neue Kategorie in den Prozess der Selbstorganisation. Die Schüler machen neue Erfahrungen in neuen Situationen, die zufällig da sind. Sie machen ebenso neue Erfahrungen an und mit sich.

Ein permanentes Festhalten, Treibenlassen und Neuorientieren bestimmt ihren Lernprozess. Aus Unsicherheit wird langsam skeptische Sicherheit. Aus Chaos wird langsam vertrauende Ordnung. Aus dem gegebenen Vertrauen des Lehrers wird langsam Selbstvertrauen der Schüler. Durch die permanente Handlung (Lernprozess) entsteht eine Identifikation mit dem hergestellten Produkt (Ergebnis der Aufgabe/Aufgabenstellung) des eigenen Tuns.

Diese Identifikation stiftet Sinn und Bedeutung, wird somit zu einer kraftvollen Quelle für Selbst-Motivation und Selbst-Organisation, die Hauptelemente der Autopoiese (Selbst-Herstellung) sind.

Das, was gesichert ist (Lernerfolgssicherung), worauf sie schrittweise aufbauen können, ist erprobtes Wissen, das durch mehrere Kanäle (Informationsgewinnung aus vielen Quellen) gefiltert und durch eigene Bilder angereichert, vertieft und verfestigt wurde.

Dieses Lernen hat eine sinnvolle Tiefe und Breite und damit eine völlig andere Qualität als das Lernen im traditionellen Unterricht.

 

 

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